Blutegeltherapie 

Der medizinische Blutegel (Hirudo spec.)

In der Literatur ist der Blutegel häufig unter der wissenschaftlichen Bezeichnung Hirudo medicinalis zu finden. Tatsächlich kommen wohl mehrere Arten zum Einsatz, bei denen hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit jedoch bislang kaum Unterschiede beschrieben wurden. Verwandt sind die durchschnittlich etwa fünf Zentimeter langen Egel übrigens mit dem Regenwurm und unserem Wattwurm.

Der Egel in der Medizingeschichte

Schon im Ägypten der Pharaonen, im antiken Griechenland und in Rom wusste man um die ausgezeichnete Heilwirkung des Ringelwurms. Bisweilen wurde gemutmaßt, bei dem um den sogenannten Äskulapstab (benannt nach Asklepios, dem griechischen Gott der Heilkunst) gewundenen Tier handele es sich nicht um eine Schlange, sondern um einen Egel.

Vampirismus

Im 19. Jahrhundert kam es zu Auswüchsen der Egeltherapie: Die Tiere wurden für alle möglichen Leiden, während einer Sitzung häufig in großer Zahl, eingesetzt.  Aus moderner medizinischer Sicht war dies genauso unsinnig wie es heute die grundsätzliche Ablehnung einer Egeltherapie wäre. Auch in der Schulmedizin gelten Egelbehandlungen bei bestimmten Indikationen als sinnvoll: In Deutschland setzt man jährlich zwischen 300.000 und 400.000 Egel als Helfer bei Schmerzen, Entzündungen und Durchblutungsstörungen ein.

Einsatzbereiche

Bei vielen schmerzhaften und degenerativen Prozessen des Skeletts, bei Entzündungen und Durchblutungsstörungen kann eine Egelbehandlung hilfreich sein. Vorteile: Gute Verträglichkeit, nahezu keine systemischen, das heißt, sich auf den ganzen Körper erstreckenden Wirkungen, hohe Erfolgsraten. Einschränkungen ergeben sich auf Patientenseite vor allem durch folgende Aspekte:

Nicht angewendet werden können Blutegel

  • bei Blutgerinnungsstörungen bzw. Einnahme blutverdünnender Mittel (z.B. Marcumar, Aspirin)
     
  • bei Wundheilungsstörungen
     
  • bei ausgeprägter Allergieneigung ist eine Behandlung abzuwägen, wenngleich Allergien gegen Inhaltsstoffe aus Egelsaliva nahezu unbekannt sind.
     
  • bei räumlichen Einschränkungen: Soll zum Beispiel ein Gelenk behandelt werden und dieses ist aufgrund individueller anatomischer Gegebenheiten (ausgeprägte Muskulatur, Adipositas) durch die Egelwirkstoffe kaum oder nicht erreichbar, ist kein oder wenig Behandlungserfolg zu erwarten.

     

Anwendungsgebiete (Beispiele):

  • Schmerzen durch arthrotische Gelenksveränderungen, insbesondere Schulter- und  Kniegelenksarthrosen; ggf. auch Hüftgelenksbeschwerden
     
  • (Oberflächliche) Entzündungen (z.B. Furunkel,Karbunkel,  Mittelohrentzündung)
     
  • Durchblutungsstörungen
     
  • Tinnitus
     
  • Varikosis (Krampfadern)
     
  • Gürtelrose
     
  • ggf. auch Post-Zoster-Neuralgie (vorzugsweise im Frühstadium)
     
  • Gefahr des Gewebsunterganges nach Retransplantation
    kleiner Körperpartien (etwa Ohr, Nase, Finger).
     

Die Behandlung

Eine durchschnittliche Behandlungssitzung dauert etwa eineinhalb Stunden. Manchmal ist die Behandlung früher, selten auch erst nach etwa drei Stunden abgeschlossen. Vor Behandlungsbeginn wird der Patient über Einzelheiten des Behandlungsablaufs aufgeklärt. Der zu behandelnde Körperbereich sollte weder parfümiert noch mit einer duftenden Seife gewaschen worden sein. Außerdem sollte man einige Stunden vor der Behandlung auf Zigaretten und/oder Alkohol verzichten – denn auch Egel können sich ekeln. Sie verweigern dann einfach ihren Dienst.

Je nach Einsatzbereich werden mehrere Egel verwendet (max. 10, in der Regel drei bis vier). Oft reicht eine Behandlungssitzung aus, in Einzelfällen können ein bis zwei Wiederholungen in etwa 14 Tagen erforderlich sein.

An die freigelegte Körperpartie werden recht zügig und punktgenau die Egel gesetzt. Das dauert bei vier Egeln zwischen fünf und zehn Minuten. Den Biss des Egels verspürt man, wenn überhaupt, als leichtes Brennen, so als habe man eine Brennnessel ganz leicht berührt (in seltenen Einzelfällen kann die Empfindung wenig unangenehmer sein. Dies tritt offenbar dann auf, wenn die Bißstelle sehr nah einem Schmerzrezeptor in der Haut liegt). In der Regel lässt die leichte Missempfindung innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten nach, da der Egel ein Schmerzmittel injiziert, das dann bereits seine Wirkung entfaltet.

Die Egel nehmen bis zur Sättigung Blut auf, wobei sie überwiegend an den Blutzellen interessiert sind. Klare wässrig-seröse Blutbestandteile „schwitzen“  sie während der Mahlzeit aus. Nach etwa einer Stunde sind sie meistens satt und lassen sich dann einfach fallen. Die etwa einen halben Zentimeter durchmessende und einem Mercedesstern nicht unähnliche Bisswunde (durch drei Reihen von Kalkzähnchen) wird steril abgedeckt und es wird ein saugender Verband angelegt. Pro Egel verliert man durch die Blutmahlzeit und das Nachbluten, dass durch gerinnungshemmende Stoffe im Egelspeichel verursacht wird, etwa 30 bis 40 ml Blut – das sind lediglich etwa zwei Schnapsgläser voll. Dennoch reagieren gelegentlich Patienten ein wenig erschrocken, wenn der nach acht bis 12 Stunden durchgeblutete Mullverband einen völlig anderen Mengeneindruck entstehen lässt.

Werden Gliedmaßen körperfern behandelt, sollten sie ein bis zwei Tage ruhig gestellt werden, um eine eventuelle (vorübergehende) Ödembildung zu vermeiden.


Die Wirkung

Häufig setzt die Wirkung bereits unmittelbar nach der Behandlung, bisweilen ein wenig verzögert ein. Je nach Anwendungsgebiet kann sie von einigen Tagen (selten) bis zu vielen Monaten (häufig) anhalten.

Die Wirkung beruht auf einem ganzen Cocktail pharmakologisch wirksamer Substanzen im Egelspeichel, der Saliva.  Noch sind nicht alle im Detail erforscht. Von den gut bekannten seien hier nur zwei genannt:

  • Hirudin (der Name ist abgeleitet vom Gattungsnamen des Blutegels Hirudo) : hemmt die Blutgerinnung, damit das Blut während der Blutmahlzeit des Egels fließfähig bleibt.
     
     
  • Calin wirkt ebenfalls gerinnungshemmend, und zwar anhaltend. Die im Schnitt etwa 12 h andauernde Sickerblutung sorgt für eine Reinigung der Wunde. Der damit einhergehende sanfte Aderlass kann sich auch positiv auf vor Behandlungsbeginn etwa bestehende Schwellungen auswirken.

Nebenwirkungen

Selten sind sehr kleine Narben, die unpigmentiert bleiben können. Diese treten bisweilen bei Personen auf, die zu gesteigerter Narbenbildung neigen. Um die Saugstelle treten kleine Blutergüsse auf, die innerhalb weniger Tage verschwinden. Ebenso verhält es sich mit gelegentlich auftretendem Juckreiz. Allergische Reaktionen gegen den Egelspeichel können nicht völlig  ausgeschlossen werden.

 

Thema Ekel

Bisweilen ekeln sich Egel vor dem Menschen – sie verweigern dann ihre Dienste, beißen schlicht nicht zu. Kalte oder parfümierte Haut, aber auch Alkoholisierung können Gründe sein.

Aber Scherz bei Seite. Zumeist sind es ja die potentiellen Patienten, die der Gedanke an eine Egelbehandlung mit Unwohlsein erfüllt. Zugegeben, Egel sind keine possierlichen Kuscheltiere – und trotzdem haben sie uns viel zu geben. Und seien wir doch einmal ehrlich: Der Biss einer Pferdebremse, obwohl um ein Vielfaches schmerzhafter, ekelt die meisten von uns wenig .  Auch ihr Behandler – ausgebildeter Biologe – würde die Tiere nicht als „goldig“ bezeichnen. Aber er mutet Ihnen auch nichts zu, was er nicht selber ausprobiert hat. Und das lässt sich einfach als „harmlos“ in des Wortes ursprünglichster Bedeutung bezeichnen.

Sollten Sie sich mit dem Gedanken einer Blutegelbehandlung tragen und noch zweifeln, rufen Sie mich an. Ich berate Sie gern.